Der folgende Text basiert auf dem Werk:

König, Werner / Schrambke, Renate (1999): Die Sprachatlanten des schwäbisch-alemannischen Raumes: Baden-Württemberg, Bayerisch-Schwaben, Elsaß, Liechtenstein, Schweiz, Vorarlberg. Bühl: Konkordia-Verlag (Themen der Landeskunde 8).

Wir danken den Autoren für die freundliche Bereitstellung.

 

1. Die Entstehungsweise und Methodik eines modernen Sprachatlasses, dargestellt am Beispiel des Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben (SBS)

Theoretisch wäre zu fordern, daß man in einem solchen Werk einen umfassen­den Überblick von der geographischen Verteilung aller sprachlichen Phänome­ne aller möglichen Sprechergruppen und Sprechsituationen geben sollte. Dazu gehören u. a. das prosodische System der Satzmelodie, die Variation von Lau­tung und Formenbildung, Wortbildung und Lexik sowie pragmatische Aspekte des Wortgebrauchs. Daß dies schon für einen Ortsdialekt eine Lebensaufgabe wäre, sieht jeder ein und braucht hier nicht weiter diskutiert werden. Der Bear­beiter muß sich also beschränken, er muß auswählen: Auswählen aus den Teilen des Sprachsystems, die auf diese Weise erforschbar sind, auswählen aus den möglichen Sprechergruppen und schließlich auswählen aus den diesen Sprecher­gruppen zur Verfügung stehenden sprachlichen Registern. Außerdem müssen der geographische Umfang abgesteckt und die verwendeten Methoden zur Fixierung der sprachlichen Daten festgelegt werden. Was hier am Beispiel des SBS darge­stellt wird, gilt mit Abwandlungen auch für den SDS, den ALA, den VALTS und den SSA. Wo charakteristische Unterschiede vorhanden sind, werden sie bei der Behandlung der Einzelwerke in den folgenden Abschnitten 2 bis 5 beschrieben.

a)  Das Untersuchungsgebiet und das Ortsnetz

Hier war von einem Geldgeber, nämlich dem Bezirk Schwaben, vorgegeben, daß sein Gebiet, soweit es nicht schon im Vorarlberger Sprachatlas (VALTS) erfaßt ist, ganz dokumentiert werden sollte. Der Bezirk reicht in einem Zipfel weit nach Osten, so daß sich diese Forderung mit der wissenschaftlichen Intention der Be­arbeiter deckte, das gesamte Übergangsgebiet der bairischen und schwäbischen Dialekte am Lech, die Lechgrenze, zu erfassen. Um das Rechteck der Grundkarte zu füllen, wurde im Osten ein Teil Oberbayerns miterhoben, im Norden kamen einige Orte Mittelfrankens dazu. Im Süden ist der Anschluß an den VALTS ohnehin nahtlos gegeben, genauso wie im Westen der Anschluß an den SSA. Im Nordwesten hält sich das Werk an die Grenzen des Regierungsbezirks und spart den hereinragenden Teil Baden-Württembergs aus (vgl. Abb. 14 auf S. 38). Um eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Ortspunkte zu erreichen, wurde ein Planquadratnetz über das Gebiet gelegt. Die Kantenlänge der Quadrate wur­de in etwa an der Ortsnetzdichte der schon vorhandenen Atlanten ausgerichtet. Beim SBS ergab das 7 km und ca. 220 Planquadrate. Die Auswahl der am Ende 272 Aufnahmeorte richtete sich an diesem Planquadratnetz aus. Verdichtungen des Ortsnetzes wurden z. B. rund um Augsburg gemacht, um den Einfluß der Stadt auf das Umland besser dokumentieren zu können; ebenso dort, wo es auf Grund der kleinräumigen Sprachverhältnisse geraten erschien. Das Untersu­chungsgebiet umfaßte vor der Gebietsreform ca. 1 200 selbständige Gemeinden, danach nur noch ca. 370. Je nachdem, ob man von der älteren oder neueren Ortszahl ausgeht, wird ein sehr unterschiedlicher Prozentsatz an Gemeinden er­reicht (ca. 23% bzw. 74%). Aufnahmen wurden nicht nur auf den Dörfern des flachen Landes gemacht, sondern auch in allen Städten.

b)  Der erforschte Sprachausschnitt. Das Fragebuch

Die „direkte Aufnahmemethode“ mit Fragebuch bedingt weitgehend das, was erforscht werden kann: Der Sprachwissenschaftler geht zu den Dialektsprechern und zeichnet das gesprochene Wort vor Ort in einer phonetischen Schrift auf. Es wird nicht am Wirtshaustisch gelauscht, sondern es wird zusammen mit einer Gewährsperson ein Fragebuch durchgearbeitet. Nur so erhält man mit einem vertretbaren Aufwand in relativ kurzer Zeit eine große Menge geordneter und vergleichbarer Sprachdaten. Auch wenn man in einem auf Tonband aufgezeich­neten Gespräch eine natürlichere Sprachform sieht, so ist es doch fast unmöglich, mit solchem Material einen umfassenden Sprachatlas zu erarbeiten. Die häufig­sten dreißig Wortformen (meist Kleinwörter) machen zwar ca. 30% der Wörter eines Textes aus, doch bei selteneren sprachlichen Einheiten wächst die Menge des nötigen Tonbandmaterials extrem stark an. Dazu kommt noch das Problem, wie das gewünschte Wort in der gewünschten Flexionsform in diesen Aufnah­men aufgefunden werden kann. Will man die Variabilität syntaktischer Regeln erforschen, dann muß man mit solchen Tonbandaufnahmen arbeiten. Syntax ist mit Hilfe eines Fragebuchs nur äußerst schwer erfragbar. Die Sprecher haben in der Regel kein Bewußtsein für die spezifische Syntax ihrer Ortsnorm. Das ist vor allem auch deshalb der Fall, weil sich syntaktische Regeln nicht abrupt von Dorf zu Dorf ändern, sondern nur großräumig und allmählich über eine langsame Änderung der Häufigkeit ihrer Anwendung. Sie kann in ihrer regionalen Varia­bilität nur mit Methoden beschrieben werden, wie sie z. B. von Arno Ruoff (vgl. Ruoff 1973) entwickelt wurden.

Die Fragebuchmethode ermöglicht aber eine rationelle und methodisch an­gemessene Erfassung der kleinräumig sich verändernden Bereiche Phonologie, Morphologie und Lexik; die Syntax kann immerhin noch in einzelnen Phäno­menen erfaßt werden. Schon das Fragebuch legt fest, welche Phänomene später einmal im Atlas als Karten vertreten sind. Was im Fragebuch nicht vorhanden ist, kann dann nur in Einzelfällen aus dem Spontanmaterial dargestellt werden. Es ist auch nicht ratsam, die Frageliste für jedes Projekt neu zu entwickeln. Denn um einen Gesamtüberblick über das Alemannische zu gewinnen, ist es nötig, daß die Karten mehrerer Atlaswerke zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Und das ist nur möglich, wenn auch Vergleichbares abgefragt wurde. Auch die Beispielwörter sollten gleich sein. Es beschleicht jeden Benutzer ein un­gutes Gefühl, wenn er zu einer Großkarte für mhd. kurz o in offener Tonsilbe in einem Atlas als Belegwort 'Vogel', im nächsten 'loben' vorfindet. Um der guten Vergleichbarkeit willen wurde deshalb möglichst viel von den Fragebüchern der Vorgängeratlanten beibehalten. So kann man das des SBS quasi als Enkel des Fragebuchs bezeichnen, das Rudolf Hotzenköcherle für seinen SDS entwickelt hatte. Dieses war schon in Freiburg für den Südwestdeutschen Sprachatlas (SSA) formal und inhaltlich bearbeitet worden (vgl. Gabriel 1983). Die dabei entstandene Fassung erfuhr eine neue Revision für den SBS. Dabei ergaben sich auf den Rat der Mitarbeiter des SSA hin geringe technisch-formale Änderungen, die eine bessere Bearbeitung über EDV bewirken sollten; vor allem waren aber auch inhaltliche Korrekturen notwendig, die eine Anpassung an die sprachlichen und sachkundlichen Gegebenheiten des Untersuchungsgebietes zum Ziel hatten; wobei der Grundsatz, daß das Werk mit den angrenzenden Atlanten vergleich­bar bleiben sollte, immer im Auge behalten wurde. So wurde z. B. die Zahl der schwachen Verben vermehrt und das Feld von Orts- und Richtungsadverbien ausgebaut; außerdem wurden Fragen zu subjektiven Dialektgrenzen und zum Landschaftsbewußtsein der Sprecher neu aufgenommen. Insgesamt waren es über 200 Positionen, die geändert wurden, vor allem im Bereich der Wortfragen, d. h. der Wortgeographie.

Für die Neubearbeitung (König et al. 1984) wurde die gesamte einschlägige Literatur durchgesehen, es wurden drei Probeaufnahmen von ca. je einer Wo­che Dauer angefertigt und ausgewertet; außerdem konnten zehn Aufnahmen von der West- und Südgrenze des Untersuchungsgebietes, die von SSA und VALTS großzügig zur Verfügung gestellt wurden, miteinbezogen werden. Bei jeder der mehr als zweitausend Fragen mußte geprüft werden, ob sich im Untersuchungs­gebiet Unterschiede ergeben und welche. Erst dann konnte entschieden werden, ob es sich lohnt, sie abzufragen. Denn Wörter, die im ganzen Gebiet gleich lau­ten, zu erheben, ist wenig fruchtbar für einen Sprachgeographen, obwohl es auch wichtig ist, zu wissen, welche Wörter das sind. Doch wer Karten zeichnen will, will vor allem Varianten; er will Regionen unterschiedlichen Sprachgebrauchs herausarbeiten. Ein Motiv, auch Wörter aufzunehmen, die im Untersuchungs­gebiet weder lautliche noch sonstige Variation zeigen, ist nur dann gegeben, wenn sie für die systematische Beschreibung eines Dialektes wichtig sind. Denn bei der Erstellung des Fragebuchs wurde auch Wert auf die Tatsache gelegt, daß ein Dialekt mit Hilfe des erhobenen Materials in der Phonologie unter synchronen und diachronen Aspekten beschrieben werden kann. In der Morphologie, wo eine Vollständigkeit im gleichen Ausmaß nicht zu erreichen war, wurde versucht, möglichst alle geographisch relevanten Phänomene zu erfassen. In der Wortgeo­graphie war eine Vollständigkeit auch nicht annäherungsweise zu erreichen, hier wurden im Zweifelsfall Begriffe, die sich in wortfeldartigem Zusammenhang mit anderen Teilen des Fragebuchs befinden, solchen, die isoliert stehen, vorgezogen. Aber bei jedem einzelnen wurde geprüft, welche Synonyme zu erwarten sind. Sie wurden, so weit sie aus den Probeaufnahmen, sonstigen zur Verfügung stehenden Aufnahmen oder aus der Literatur zu eruieren waren, als sog. Suggerierformen (vgl. S. 48) ins Fragebuch mit aufgenommen.

Das Fragebuch ist nach Sachgruppen geordnet und enthält Fragen zu prak­tisch allen Lebensbereichen. Es beginnt mit dem Vieh und seiner Pflege, be­handelt Schwein und Pferd, Hund und Katze, die Heuernte, den Ackerbau, den Wagen und seine Teile, Boden und Flur, Geländeformen, Wald und Holz, das Obst und seine Verwertung, das Haus. Der Mensch, die Kirche, das Wetter, Zei­teinteilung, Frauenarbeit, der Garten, die Küche, Essen und Trinken, Spiele, Fa­milie und Verwandtschaft sind weitere Kapitel (vgl. Inhaltsverzeichnis in Abb. 15 auf S. 43). Die onomasiologische Anordnung der Fragen nach Sachgruppen war durch die schon vorhandenen Fragebücher vorgegeben. Sie kommt sowohl den Bedürfnissen des Explorators als auch denen der Gewährsperson entgegen. Wenn man z. B. in dem Kapitel, das die Terminologie des Brotbackens erfassen soll, in der Reihenfolge der Tätigkeiten vorgeht, die beim tatsächlichen Vorgang auf­einanderfolgen, dann ergibt sich zwanglos aus der Situation, was sich sonst nur durch kompliziertes Befragen eruieren ließe. Der Informant erinnert sich an den Vorgang, Geräte und Tätigkeiten werden bezeichnet; Abweichungen vom norma­len Verfahren werden dem Explorator deutlich und können festgehalten werden. Abgrenzungen der Termini untereinander lassen sich leichter herausfinden als bei isolierter Befragung. Das ganze Verfahren ist für Gewährsmann und Explorator weniger anstrengend und ergiebiger als die isolierte Befragung nach einzelnen Bezeichnungen. Auf diese Art wird der Kernbestand des Wortschatzes eines Ortsdialektes erfragt, und zwar eines Wortschatzes, wie er vor der technischen Revolution, die inzwischen die Welt der Dörfer total verändert hat, bestanden hat. Bei der Heu- und Getreideernte wird z. B. nach der Terminologie gefragt, die vor der Mechanisierung der Landwirtschaft geherrscht hat. Das geschieht analog auch in den anderen Bereichen des Fragebuchs. Darüber hinaus wird aber auch neuerer Wortschatz einbezogen.

Zur Illustration ein paar Zahlen und Beispiele: Bei 2267 Einzelnummern sind ca. 800 Fragen phonologischen Problemen gewidmet, die auf lautgeographische Unterschiede zielen: ob man broit oder broat oder brait für 'breit', ob man gloobe oder glaube für 'glauben' sagt, ob es rite, reite oder raite für 'reiten' heißt.

Rund 775 Fragen betreffen die Morphologie: Flexion von Verbum, Adjektiv und Substantiv sowie Wortbildung. Dazu ein Beispiel aus der Verbalflexion: Im Norden heißt es ons fahrmer, im Süden mir fahred, im Osten mir fohrn für 'wir fahren'; es bestehen regionale Unterschiede bei der Partizipbildung im Bereich der schwachen Verben: alte Unterschiede aus germanischer Zeit zeigen sich noch systematisch darin, ob das Partizip der Vergangenheit mit oder ohne e-Einschub gebildet wird (gmached 'gemacht' aber: gsuachd 'gesucht').

 

 Abb. 15 SBS

Abb. 15:

SBS — Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben, Inhaltsverzeichnis des Frage­buchs.

 

Nur 17 Nummern behandeln explizit syntaktische Fragen: Es geht hier z. B. um die regional verschiedenen Formen der Nebensatzanknüpfung oder um die Wortstellung: ob man die Bäs Marie oder die Marie Bäs (für 'Tante Maria') gebraucht, ob man welleweg oder ohneweg für neuhochdeutsch 'trotzdem' sagt.

Ca. 775 Fragen zielen auf wortgeographische Unterschiede: ob man fehl oder mädle für 'Mädchen' sagt, ob es nächt oder gescht für den vorhergegangenen Tag heißt, ob man aftermentag oder ziestag für 'Dienstag' sagt, ob grumbir, bodabir oder kartoffel das übliche Wort ist.

Rund 70 Fragen sind der Bedeutungsgeographie gewidmet, z. B. ob korn das allgemeine Wort für Getreide ist oder die Einzelsorte 'Roggen' oder 'Dinkel' bezeichnet.

In 15 Fällen wird gezielt nach mehreren Synonymen und nach ihrer wort­sozio­logischen Schichtung gefragt; so sind den Gewährsleuten in der Regel drei Wörter für das Pferd bekannt: roß, pferd und gaul. Wir fragen nun nach der stilistischen Bewertung dieser Wörter. Auch hierbei zeigen sich regionale Un­terschiede. Während im westlichen Allgäu gaul als das höherwertige Wort gilt, treten in anderen Gegenden roß oder pferd auf.

Von diesem Fragebuch wurde für jeden Ort ein eigenes Exemplar gedruckt. Die phonetische Transkription der Antworten, die die Gewährsleute auf die Fra­gen geben, werden in dem dafür vorgesehenen Raum direkt eingetragen. Ein interessierter Benutzer hat damit Ausdruck und Inhalt einer sprachlichen Ein­heit unmittelbar nebeneinander.

c)  Die Sprecher

Die Aufgabe, räumliche Sprachvarianten zu erfassen, diktiert weitgehend die Auswahl der Sprecher: Dialektgeographie ist die Beschreibung der Variabilität von Sprache in Abhängigkeit von einem sich verändernden geographischen Pa­rameter, mit dem Raum als unabhängiger, Sprache als davon abhängiger Varia­blen. Die unabhängige Variable Raum wird durch die Geburts- und Aufenthalts­orte des Gewährsmannes und seiner Eltern bestimmt. Dies bedeutet, daß die unzähligen anderen Variablen, die das Sprechen beeinflussen können, möglichst konstant gehalten werden müssen, wenn das erhobene Material hinterher auch geographisch vergleichbar sein soll. Es war also ein sozio­logisch einheitlicher Sprechertyp auszuwählen, der repräsentativ für eine Ortssprache (d. h. immer ortsansässig, nicht durch fremde Dialekte beeinflußt) sein sollte. Das konnte bei der Besiedelungsstruktur des Untersuchungsgebietes auf dem Lande nur der alteingesessene Bauer sein, in den Städten der mindestens in der zweiten Gene­ration ortsansässige, eher „kleinere“ Handwerker.

Auch die rededeterminierende Variable „Alter“ mußte konstant gehalten wer­den. Daß die Wahl nun auf die ältere Generation fiel, hat mehrere Gründe. Diese Gruppe ist leichter für eine solche Aufgabe zu gewinnen als die der jünge­ren Sprecher. Und das hat wiederum eine psychologische Ursache: Man glaubt, daß die älteren Leute den „alten“ Dialekt am besten sprechen. Schließlich ist die Dokumentation dieses „alten“ Dialekts mit ein Hauptzweck der bisherigen Atlasprojekte gewesen.

Ist diese Sprechergruppe nun repräsentativ für den zu erforschenden Orts­dialekt? Die erhöhte Mobilität in unserem Zeitalter, das Pendeln, die stärkere Verbreitung höherer Schulbildung sowie die Zuwanderung aus den Städten macht die Gesamtheit des Gesprochenen in einem Dorf vielfältiger, so daß der befrag­te alte Bauer sicher nicht mehr als Repräsentant der dialektalen Alltagssprache des Ortes gelten kann, sondern allenfalls eine Sprachnorm vertritt, die früher einmal diese Geltung im Ort gehabt haben mag. Im Rahmen einer sprachhisto­risch orientierten Dialektgeographie, die die „alten Züge, welche eine sprachliche Landschaft geprägt haben“ (Hotzenköcherle 1962, A, S. 5), sucht, in einer Dialektgeographie, die die Sprachkarte zur Ergründung und Erklärung sprach­geschichtlicher Erscheinungen, auch zum Verständnis und zur Beschreibung des Mechanismus sprachlichen Wandels verwenden will, ist der alte Bauer aber im­mer noch der beste Informant. Im Extremfall, d.h. wenn er der letzte ist, der die angegebenen Bedingungen erfüllt, muß dieser Bauer für eine historisch orientierte Dialektgeographie repräsentativ bleiben, auch wenn er allein unter 1 000 Zugewanderten steht und alles andere als ein Sprecher der durchschnittli­chen Ortssprache ist (vgl. König 1982, S. 472).

Die Versuchsanordnung mit ihren oben geschilderten Bedingungen zwingt zu diesem Vorgehen.

d)  Die erforschte Sprachvarietät. Die Sprechsituation

Grundmundart

Die Sprecherauswahl legt einen großen Teil der Sprachform, die bei einem sol­chen Projekt dokumentiert werden soll, fest. Ein weiterer Teil wird determi­niert durch die Sprechsituation. Auch sie muß im Sinne des oben definierten Forschungsziels konstant gehalten werden, um eine Variation, die nicht geogra­phisch bedingt ist, auszuschalten. Eine natürliche, im Sprachleben auch sonst vorkommende Sprechsituation zwischen Informant und Explorator über mehrere Tage hin konstant zu halten, ist unmöglich. Für kurze Tonbandaufnahmen läßt sich so etwas vielleicht bewerkstelligen, nicht aber, wenn bestimmte sprachliche Elemente eines genau definierten Registers an einer bestimmten Stelle erscheinen sollen. Auch durch eine fixierte Fragestellung — wie im anglistischen Bereich vielfach üblich — kann eine Situation nicht zuverlässig identisch und stabil gehalten werden. In allen Daten, die wir durch Befragung erhalten, stecken die fast nicht zu kontrollierenden gegenseitigen Rollenerwartungen und Rollenauf­fassungen. Ein identischer Reiz muß nicht identische Reaktionen hervorrufen. Es geht hier mehr um eine Identität der Wirkung und weniger um eine Identität der Formulierung. Auch die „conversation dirigée“ der Romanisten, das gelenk­te Gespräch, ist ein Ideal, das sich in der Praxis vielleicht bei stark ergologisch orientierten Partien des Fragebuchs, bei der Schilderung und Beschreibung von Arbeitsverfahren und Geräten gestalten läßt, nicht aber über die ganze Zeit einer Ortsaufnahme (d. h. eine Woche) hinweg.

Im Idealfall müßten Bedingungen hergestellt werden, die einem Laborver­such der Naturwissenschaften vergleichbar sind. In die Nähe einer solchen Sta­bilität der Versuchsbedingungen kommt man nur, wenn man die Gewährsperson voll über Sinn und Zweck der Aufnahme aufklärt und das eigene Forschungsziel nach dem, was auch dem Informanten als sinnvoll erscheinen kann, ausrichtet. Indem man die Versuchssituation so gestaltet, daß den Beobachter das gleiche Interesse lenkt wie den Beobachteten, wenn beide Partner in einem gemeinsa­men Bemühen sind, kann man dem Zirkel, den man das „Beobachterparadoxon“ genannt hat, einigermaßen entfliehen. Das haben die Dialektgeographen unreflektiert schon immer getan, indem sie versucht haben, den jeweils „ältesten“ erreichbaren Sprachstand aufzuzeichnen. Dieses antiquarische Interesse ist die wesentliche, eigentliche Motivation des Gewährsmannes. Seine Äußerungen pro­duziert er zu diesem Zweck, er spricht langsam und deutlich, um dem transkri­bierenden Frager eine möglichst genaue Umschrift zu ermöglichen, er diktiert gleichsam in die Feder. Seine Äußerungen stellen praktisch Zitate dar, nämlich Zitate aus seinem normalen, spontanen Sprechen. Es ist Metasprache, was da für sprachwissenschaftliche Zwecke produziert wird. Den Gewährsmann lenkt dabei sein Sprachgefühl, seine Kenntnis der Ortsnorm (vgl. Steger 1983), sein Wissen um das, was in der dörflichen Gemeinschaft als sprachlich richtig oder falsch empfunden wird. Diese Kompetenz drückt sich in Sätzen aus wie: „Wir sagen so und nicht so, bei uns heißt es so. “

Die dabei gewonnenen, in betonter Stellung ausgesprochenen sprachlichen Elemente kommen in der Alltagssprache nur selten vor. Aber es gibt sie, wenn es gilt, Mißverständnissen vorzubeugen oder solche zu korrigieren. Es ist die Sprachform, in der satzphonetische Erscheinungen, Schnellsprechformen weit­gehend ausgeschaltet sind. Jeder Sprecher hat eine Kompetenz dafür, jeder Sprecher beherrscht sie. Sie ist die ausführlichste, vollständigste, die produziert werden kann. Sie ist nicht nur am leichtesten zu standardisieren, d. h in der Befragepraxis des Dialektologen über lange Strecken hinweg identisch zu halten, sie ist auch die Sprechform, die für phonologische und morphologische Beschrei­bungen am besten geeignet ist.

In stark ergologisch orientierten Partien des Fragebuchs fühlt sich der Ge­währsmann oft nicht mehr als Auskunftgeber in Sachen Sprache, er zitiert nicht mehr, sondern er ist Fachmann für die Sachen, für die Vorgänge, die er sich zu schildern bemüht. Dann ist es nicht mehr das Sprachinteresse, das ihn steuert, es ist das Interesse für die Techniken, die er dem Explorator möglichst genau schil­dern will. In diesem Fall sind es dann auch nicht mehr Zitate, die er produziert, es ist ein Sprechen in der Textart „Beschreibung“.

Die mit diesem Verfahren gewonnenen Sprachkarten haben den Status eines idealtypischen Modells der Veränderung des Sprechens in seiner Abhängigkeit von der Variablen Raum. Man muß sich dabei immer bewußt halten, daß diese Auskünfte über Sprachverwendung nicht immer mit dem tatsächlichen Sprechen übereinstimmen müssen. Wie z. B. bei jenem Gewährsmann aus dem Allgäu, der dem Explorator auch auf Nachfrage versicherte, daß es zwar strählen für 'kämmen' heiße, aber das Instrument immer mit Kamm bezeichnet werde. Bis zu jenem Augenblick, an dem er photographiert werden sollte und er seiner Frau den Auftrag gibt, noch schnell den Strähl zu holen, damit er sich schön machen könne. Um für solche Phänomene ein Korrektiv zu haben, wird über das im Interview Erfragte hinaus auch noch weiteres Sprachmaterial aufgenommen und transkribiert, nämlich das, was der Informant außerhalb der beschriebenen engen Interviewsituation von sich gibt.

Das sogenannte Zusatzmaterial

Der Informant gibt Kommentare, unterhält sich mit seiner Frau oder einem Besucher oder äußert sich gegenüber Dritten. Die daraus resultierenden Sprach­formen haben alle Eigenschaften natürlicher Sprache mit ihren Verschleifungen, Undeutlichkeiten sowie einem Sprachstand, der in verschiedenen Fällen von dem, was zum Zwecke des Aufschreibens produziert wird, abweicht. Diese Unterschie­de stellen — historisch gesehen — oft auch unterschiedliche Stufen der Spra­chentwicklung dar, es sind situationsspezifische Varianten, die vom Dialekt bis zur Hochsprache reichen. Die Exploratoren notieren solche Spontanformen, be­sonders wenn sie mit denen des erfragten Materials nicht übereinstimmen. Dafür ist der breite Rand auf der rechten Seite der Fragebücher vorgesehen. Beim SDS ist es gelungen, in dem einen oder anderen Fall verschiedene Verbreitungsbilder für spontanes und direkt erfragtes Material zu erhalten und damit Einblicke in laufende Sprachveränderungen zu bekommen (vgl. z. B. SDS, Bd. III, 256).

Man kann das Zusatzmaterial auch dazu benutzen, zu Phänomenen, die im Fragebuch nicht oder nicht genügend berücksichtigt sind, geographische Verbrei­tungsbilder zu zeichnen. Das ist möglich bei sehr auffälligen dialektalen Eigen­heiten, die wegen ihrer Kuriosität aufgeschrieben wurden, oder bei solchen, die sehr häufig sind. Die Karten zum Artikel im SDS (Bd. III) beruhen zum großen Teil auf Spontanmaterial (vgl. auch Meyer 1967).

e) Die konkrete Durchführung der Aufnahmen

Die Aufnahmearbeit wurde, wie bei den Atlaswerken, in deren Tradition das Unternehmen steht, durch ausgebildete Germanisten durchgeführt, die ca. eine Woche brauchten, um das Fragebuch mit zwei bis vier Informanten pro Ort durchzuarbeiten. Diese Aufnahmen wurden nur im Winter durchgeführt, weil es fast unüberwindliche Schwierigkeiten praktischer und psychischer Art gibt, bäuerliche Gewährsleute für diese Aufgabe im Sommer zu gewinnen.

Als sehr nützlich und hilfreich hat sich das kleine Honorar von DM 10.- pro Halbtag erwiesen, das die Informanten erhielten. Die Gewährsleute wurden mit Hilfe der Gemeindeverwaltung des betreffenden Ortes ausgesucht.

Die erfragten Sprachdaten wurden vom Explorator an Ort und Stelle in pho­netischer Schrift an dem dafür vorgesehenen Platz im Fragebuch eingetragen. Sog. Suggerierformen (vor allem bei Wortfragen: so z. B. bei der Frage nach dem „runden, harten Brotanschnitt“: grendle / gigel ...) halfen dem Explora­tor, einem Informanten Hilfestellung bei der Erinnerung zu geben. Zahlreiche Abbildungen (vgl. Abb. 16 auf S. 49) erleichterten es, die Bezeichnungen für die zu erfragenden Gegenstände beim Gewährsmann zu evozieren, bei komplizierte­ren Dingen, wie z. B. den Einzelteilen des alten Holzwagens, Mißverständnisse auszuschließen und unterschiedliche Sachtypen festzulegen. Wenn möglich, wur­den auch Photos von den erfragten Gegenständen gemacht.

Für spätere Kontrollzwecke wurden ca. 30 Minuten des Interviews und ca. 15 Minuten freie Erzählung auf Tonband aufgenommen. Die dabei erhaltenen Sprachmengen reichen in der Regel aus, zweifelhafte phonetische Probleme im nach­hinein klären zu helfen. Außerdem wurden Fälle, in denen die Exploratoren in der Transkription unsicher waren, auf Tonband festgehalten. Sie konnten dann gemeinsam mit dem Projektleiter in regelmäßig veranstalteten Sitzungen aller Mitarbeiter besprochen werden. Um die Transkription bei allen Exploratoren vergleichbar zu halten und um anstehende Probleme vor Ort zu klären, besuchte sie der Projektleiter Werner König „im Feld“. Im ersten Aufnahme­winter nahm er an jeder zweiten Aufnahme einen halben Tag teil, in den späteren Aufnahmeperioden nicht mehr so häufig. Gegenseitige Besuche der Exploratoren dienten dem gleichen Zweck. Im März 1986 fanden darüber hinaus noch Vergleichsaufnahmen mit Eugen Gabriel, dem Aufnahmeleiter der beiden an­grenzenden Sprachatlasprojekte, statt. Die Aufnahmen wurden im wesentlichen von drei Exploratoren durchgeführt: Edith Funk bearbeitete den Norden, Man­fred Renn den Osten und den Süden, Brigitte Schwarz den Westen.

Zu jedem Gewährsmann wurde ein ausführlicher Fragebogen mit den Sozial­daten ausgefüllt, eine Charakteristik hergestellt, die teilweise als Polaritätenpro­fil (vereinfacht nach König 1975) gestaltet ist, und die bei der Interpretation des Materials helfen soll (vgl. Abb. 17 auf S. 51). Bei der Wahl des Transkriptionssystems hat sich das Projekt an den Nachbarwerken orientiert und die am „Teuthonista“ und an romanistischen Traditionen ausgerichtete diakritische No­tierungsweise des SDS zum Vorbild genommen (vgl. die Beschreibung unten S. 63 f). Damit ist die unmittelbare Vergleichbarkeit aller alemannischen Atlas­werke gewährleistet. Entscheidend war aber die Tatsache, daß am SSA bereits ein maschinenlesbares Kodierungssystem für diese Transkription entwickelt wor­den war, ein System, das in seinen Grundsätzen auf einer Schreibmaschinenseite unterzubringen ist und das die Auswertungsarbeiten mit EDV sehr erleichtert (vgl. Kelle 1976, 1983). Solch ein einfaches System steht für die internationale Lautschrift API nicht zur Verfügung (vgl. z. B. Richter 1973), weshalb es kei­nen Anlaß gab, API zu verwenden, zumal seine Vorteile die mit ihm verbundenen Nachteile nicht aufzuwiegen vermögen (vgl. Ruoff 1973, S. 123–130).

 

Abb. 16:

SBS – Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben, Beispiel für Abbildungen, die als Hilfe beim Abfragen der Belege dienen.

 

Um die Aufnahmearbeit zu illustrieren, wird im folgenden die Seite 350 des Fragebuchs aus der Aufnahme von Aletshausen (bei Krumbach) näher beschrie­ben. Die 10 Fragen auf dieser Seite (vgl. Abb. 18 auf S. 52) sind teils phonologische, teils morphologische und teils Wortfragen, was durch die Kürzel „Ph“, „Mo“ und „Wo“ angedeutet wird. In der linken Spalte stehen die Fragen bzw. die Dinge, um deren Bezeichnung es geht, auf der rechten die Antworten, die in phonetischer Schrift aufgezeichnet wurden. Frage 2 und Frage 3 sind Übersetzungssätze; hier wird dem Gewährsmann der Satz, den der Explorator in der dialektalen Form hören will, hochdeutsch vorgesprochen, mit der Bitte, ihn anschließend in den Dialekt zu übersetzen. Bei Wortfragen sind Suggerierformen (vgl. oben) mitgegeben, bei Frage 7 sind sie besonders  zahlreich und waren hier auch nötig: „sugg.“ vor dem Beleg gi̢gəle ̦ signalisiert, daß das Wort oder eine ähnliche Form dem Gewährsmann vorgegeben wurde. Zwei Belege am rechten Rand sind mit „SS“ gekennzeichnet: sie sind nicht erfragt, sondern sie kamen spontan, sie gehen ins Zusatzmaterial ein.

f)  Die Bearbeitung des Materials für den Computer

Die Aufnahmen wurden im Anschluß an die Aufnahmeperiode des Winters von den Exploratoren noch einmal durchgesehen. Dabei wurden die folgenden Ar­beitsgänge erledigt:

― Durchsicht auf Flüchtigkeitsfehler, die während der Aufnahme geschehen sind.

― Herstellung der formalen Einheitlichkeit und Eindeutigkeit der protokollierten Belege.

― Ordnung und Lemmatisierung der Spontanbelege sowie deren grammatische Kennzeichnung nach einem einfachen Siglensystem.

Nach dieser Durchsicht durch die Exploratoren wurden die Aufnahmen kodiert, d. h. am Bildschirm eines Personalcomputers auf Disketten geschrieben.

 

 

Abb. 17:

SBS – Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben, aus den Erhebungsbögen die Charakteristik einer Gewährsperson.

 

 

Abb. 18:

SBS – Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben, eine ausgefüllte Seite des Fragebuchs aus Aletshausen (bei Krumbach).

 
 

Damit wurde das Material maschinenlesbar. Diese Kodierung geschah im we­sentlichen nach den Regeln und Grundsätzen, wie sie für den SSA entwickelt worden waren (vgl. Kelle 1976). Die einfache Umwandelbarkeit der Lautzei­chen in ein computerlesbares lineares Hintereinander wurde bei der Diskussion der verschiedenen Transkriptions­systeme schon erwähnt. Das Kodierungssystem wie das Lautschriftsystem ist darauf aufgebaut, daß die üblichen Zeichen des Teuthonista-Lautschriftalphabets mit diakritischen Zeichen weiter modifiziert werden (zum Lautschriftsystem vgl. S. 63 f.): Ein offener e-Laut [ę] wird als E5 ko­diert. Ist der e-Laut nicht ganz so geöffnet, wird das Häkchen eingeklammert [ę] und mit E5. (lies: E5 Punkt) computerlesbar gemacht. Für alle Vokale gilt: 5 für einfachen Haken, . für die Klammer um ein diakritisches Zeichen. Ein transkribiertes Wort wie z.B. veagsäd 'Fegsand' erscheint in der Kodierung als: VE6-E, GSA5.+-D2. Das Prinzip dürfte damit deutlich werden; die Einzelheiten weiter zu beschreiben, ist nicht notwendig (vgl. Abb. 21 auf S. 58). Die Kodie­rung leisteten studentische Hilfskräfte; sie ging parallel zu den Aufnahmearbeiten vor sich. Das gesamte Material ist auf Disketten bzw. auf der Festplatte eines Personalcomputers verfügbar.

Die kodierten Dialektbelege wurden nicht Korrektur gelesen. Zwei Korrek­turprogramme überprüften aber die Abschriften auf Vollständigkeit und auf die Syntax der Zeichen. Damit konnten Kodierungen, die im Kodierungssystem nicht vorgesehen waren, aufgefunden und verbessert werden.

g) Die teilautomatisierte Kartenerstellung mit Hilfe von Personalcomputern

Der SSA war der erste direkt erhobene Sprachatlas, bei dem die Auswertung des Materials durch elektronische Datenverarbeitung erfolgte. In Freiburg begann man diese Arbeit auf Großrechnern, die dazu nötige Entwicklungsarbeit wur­de am Institut für geschichtliche Landeskunde verrichtet. Der SBS konnte von dieser Pionierarbeit sehr viel profitieren, was die Kodierungskonventionen und andere Erfahrungen betraf. Die Programme hingegen mußten neu entwickelt werden, weil die für den Großrechner geschriebenen Programme des SSA nicht auf den Personalcomputer transportierbar waren. Michael Schmoll entwickel­te das Programmsystem „Augustaplot“, mit dem die Karten des SBS erstellt werden.

Es würde hier zu weit führen, die genauen Leistungen des ganzen Software­pakets zu beschreiben, doch dürfte es derzeit das System mit den größten karto­graphischen Möglichkeiten sein, das verfügbar ist. Neben dem generellen Vorteil der EDV, daß durch sie druckfertige Kartenvorlagen erstellt werden können — was die Herstellungskosten eines solchen Atlasses erheblich senkt — bietet das System des SBS folgende Möglichkeiten:

 • Es sucht aus der Gesamtdatei, die ca. 45 Millionen Zeichen umfaßt, inner­halb weniger Sekunden die Belege heraus, die für eine Karte nötig sind. In der Gesamtdatei ist das Material aus allen 272 Ortsaufnahmen des Sprachat­lasses vollständig versammelt: Die Dialektbelege in kodierter Form, alle Kom­mentare von Gewährspersonen und Exploratoren sowie eine Identifikationsnum­mer für jeden einzelnen Beleg.

• Es isoliert aus den Belegen die Zeichensequenz, die Thema der Karte wer­den soll.

Soll zum Beispiel aus dem Übersetzungssatz „Die Milch steht auf dem Tisch“ der betonte Vokal des Wortes 'Tisch' kartiert werden, dann wird der in den Orts­aufnahmen vorhandene i-Laut herausgesucht und für die weitere Bearbeitung bereitgestellt; alle anderen Elemente des Satzes bleiben unberücksichtigt.

• Es stellt (für Wortkarten) eine reduzierte Form des Wortes her, das Grund­lautgerüst ohne diakritische Zusatzzeichen.

Bei Wortkarten würde die große Menge von phonetischen Varianten zu einer unübersichtlichen Vielfalt von Typen führen. Das Programm macht dann z. B. aus sieben Varianten des o-Lautes ein einziges O, aus den Varianten der übrigen Laute einen reduzierten Einheitslaut. Diese Typisierung hilft sehr bei der Her­stellung von Übersichtsprobekarten. Doch muß diese automatisch hergestellte Basisform für jeden einzelnen Ort am Originalmaterial überprüft werden.

• Es vergleicht die Formen, die Thema der Karte sind, und stellt identische Formen zusammen.

• Die Symbolvergabe erfolgt durch Eingabe einer Nummer. Identischen For­men werden gleiche Symbole zugeordnet.

Das geschieht so, daß für eine Form nur jeweils eine Symbolnummer eingegeben werden muß; der PC verteilt dann das gleiche Symbol automatisch an alle Orte mit identischer Form.

• Derzeit steht eine Symbolbibliothek von ca. 8 000 Symbolen zur Verfügung. 4 900 davon wurden dem SBS von Wolfgang Kleiber (Mainz) überlassen.

• Es können pro Ortspunkt mehrere Symbole untergebracht werden.

• Bei jedem Symbol besteht die Möglichkeit, davor oder dahinter jeweils zwei ASCII-Zeichen zu setzen, die neben- und übereinandergestellt werden können.

• Des weiteren kann je ein kleines Zusatzsymbol über oder unter jedes Haupt­symbol plaziert werden. Derzeit stehen ca. 25 solcher Symbole zur Ver­fügung. Damit erreicht die Gesamtanzahl der möglichen Symbole und Symbolkombinationen eine Zahl, die weit über 100 000 liegt.

• Das Programmsystem arbeitet innerhalb des Datenbanksystems dBase. Alle Operationen dieses Systems (Suchen, Kombinieren, Zuordnen, Zählen, Verknüpfen, Sortieren) können zur Lösung individueller Probleme in An­spruch genommen werden.

Neben der Kartenerstellung werden auch die Legenden und Kommentare des SBS mit EDV erstellt. Das war nur dadurch möglich, daß am SSA durch Guillaume Schiltz das Satzsystem TEX so weiterentwickelt wurde, daß sämtliche phonetische Zeichen, die in der Lautschrift des SBS verwendet wurden, über einen Laserdrucker ausgegeben werden können (vgl. Kelle / Schiltz 1993 und 1994).

h)  Die Publikation

Die Veröffentlichung des in der geschilderten Weise gewonnenen und bearbeiteten Materials erfolgt von 1995 an in einem mehrbändigen Kartenwerk. Ein Beispiel für eine Wortkarte ist in Abb. 19 auf S. 56 zu sehen. Soweit bisher absehbar, wird das Werk wie folgt gegliedert sein (in Klammern die Bearbeiter):

Publizierte bzw. zur Publikation fertiggestellte Bände:

Bd. 1   Einleitungsband (Werner König)

Bd. 2   Wortgeographie I: (Christine Feik)

           Der menschliche Körper und seelische Äußerungen

           Die menschliche Gemeinschaft / Kleidung

Bd. 3   Lautgeographie I: Vokalquantitäten (Manfred Renn)

Bd. 4   Lautgeographie II: Kurzvokale (Heike Heidenreich)

Bd. 5   Lautgeographie III: Langvokale und Diphthonge (Susanne Kuffer)

Bd. 6   Formengeographie I: Verbum (Edith Funk)

Bände in Planung:

Bd. 7   Lautgeographie IV: Konsonanten

Bd. 8   Formengeographie II: Nomen

Bd. 9   Wortgeographie II: Haus und Wohnung / Wettererscheinungen / Freie Tiere / Pflanzen, Obst und Gemüse

Bd. 10 Wortgeographie III: Zeiteinteilung und Grußformeln / Spielen und Spielzeug / Ernährung, Kochen und Backen / Hausarbeit / Bauern und deren Arbeitskräfte

Bd. 11 Wortgeographie IV: Rindvieh und Milchverarbeitung / Schwein, Zie­ge, Schaf, Pferd / Geflügelhaltung und Imkerei / Hund und Katze

Bd. 12 Wortgeographie V: Gelände, Boden, Ackerbau / Getreide / Düngung und Heuernte / Hanf und Flachs

Bd. 13 Wortgeographie VI: Wald, Holz und Zäune / Transport / Körbe und Gefäße

 

 

Abb. 19:

SBS – Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben, Bd. 2, Ausschnitt aus der Karte ‘Holzsplitter / Schiefer’ (in der Haut). Die Gesamtgröße der Originalkarte beträgt 20x30 cm (BxH), der wiedergegebene Ausschnitt ist etwa 50% verkleinert.

 

 

Abb. 20:

Legende für die SBS-Karte ‘Holzsplitter / Schiefer’ (in der Haut), verkleinerte Wiedergabe.

 

 

 Abb. 21:

 Die Kodierung der Lautschrift beim SBS.