von  

Peter Wiesinger (Wien) 

1. Die Fragebogensammlung

Als Ferdinand Wrede nach dem Ende des Ersten Weltkrieges begann, ausgewählte Sprachkarten aus Georg Wenkers "Sprachatlas des Deutschen Reiches" für den Druck vorzubereiten, war es ihm angesichts der auch in der Schweiz, in Österreich und in den Sudetenländern der Tschechoslowakei voranschreitenden deutschen Dialektologie ein Anliegen, die Sprachverhältnisse dieser Länder in das Kartenwerk einzubeziehen und damit dialektgeographische Dokumentationen für den gesamten deutschsprachigen Raum zu erarbeiten. Er wandte sich dazu an die Botschaften dieser Länder in Berlin, um durch deren Vermittlung die zuständigen Bildungsministerien zur Mitarbeit zu gewinnen. 1926 veranlassten diese schließlich die ihnen unterstehenden Schulen, einen entsprechenden Fragebogen auzufüllen und die 40 Wenker-Sätze sowie 27 Einzelwörter in den ortsüblichen Dialekt zu übertragen. Die Sammlungen erfolgten unter der Leitung der Dialektologen der einzelnen Länder 1926-30 in Österreich unter Anton Pfalz (Wien), 1926-33 in der Schweiz unter Albert Bachmann (Zürich), sowie 1926-29 in der Tschechoslowakei unter Erich Gierach bzw. seinem Dozenten Ernst Schwarz (Prag). Von Wien aus wurden auch die Fragebögen aus den kleinen angrenzenden Gebieten im westlichen Ungarn und in der Sprachinsel Gottschee in Jugoslawien erhoben. Einschließlich von 13 Belegorten in Liechtenstein konnten insgesamt 9.076 Fragebögen gewonnen werden. Erst im Zusammenhang mit dem Hitler-Mussolini-Abkommen über die Aussiedlung der deutschsprachigen Südtiroler aus Italien war es Wredes Nachfolger Walther Mitzka in Verbindung mit dem bayerischen Privatgelehrten Bruno Schweizer 1939 möglich, weitere 485 Fragebögen aus Südtirol einschließlich der zimbrischen Sprachinselorte Mezza Selva in den Sieben Gemeinden, Giazza in den Dreizehn Gemeinden und Luserna in der Provinz Trient zu gewinnen. Auf diese Weise umfasst das Ergänzungsgebiet 9.561 Belegorte. Da damals selbst die kleinste Gemeinde über ein Schule verfügte, kommt ein durchschnittlich dichtes Belegnetz zustande. Es ist allerdings für den Süden und Osten der Schweiz, für Liechtenstein sowie für den Westen und Süden Österreichs und für Südtirol als Gebirgsgegenden zu berücksichtigen, dass dort nur die Täler besiedelt sind.

Die eingebrachten neuen Fragebögen wurden nach dem Schema von Wenkers Sprachatlas in Verbindung mit einer neu angelegten Grundkarte nach Planquadraten geordnet, signiert und archiviert. Sie fanden zunächst bloß Verwendung für die Erarbeitung von vereinfachten Ergänzungskarten zum gedruckten "Deutschen Sprachatlas" der zwischen 1927  und 1956 publizierten Lieferungen.

2. Ziele und Durchführung

Als ich seit 1960 in Marburg meine "Phonetisch-phonologischen Untersuchungen zur Vokalentwicklung in den deutschen Dialekten" (Berlin 1970) zu erarbeiten begann, machte sich der Mangel an entsprechenden Sprachkarten für Österrreich, Südtirol und die Sudetengebiete der Tschechoslowakei deutlich bemerkbar, während ich für die Schweiz anlässlich eines Forschungsaufenthaltes bei Rudolf Hotzenköcherle in Zürich im Juni 1961 die in Druckvorbereitung befindlichen Karten des "Sprachatlasses der deutschen Schweiz" benützen konnte. Nachdem mich der Institutsleiter Ludwig Erich Schmidt im September 1962 mit der "Verwaltung einer Assistentenstelle" betraut hatte, die dann im Dezember 1964 nach meiner Promotion in eine reguläre Assistentenstelle überführt wurde, bestand meine Tätigkeit nicht nur in der Verwaltung der Wenker-Karten, der Betreuung von Gästen und Besuchern und der Beantwortung häufiger Anfragen, sondern auch in der Abhaltung von Einführungen in das dialektologische Arbeiten für Studierende der Germanistik mit dem Ziel der Erarbeitung von Ergänzungskarten. Dazu fertigte zunächst der Institutsgraphiker Helmut Scholz die 5 Grundkarten an: West mit der Schweiz, Liechtenstein und Vorarlberg; Südwest mit Tirol, Salzburg, dem Westen von Kärnten und Oberösterreich sowie der Sprachinsel Gottschee und den Zimbrischen Sprachinseln; Südost mit dem Osten von Kärnten und Oberösterreich, der Steiermark, Niederösterreich, dem Burgenland und den Grenzgebieten Westungarns und der Slowakei; Nordwest mit dem Westen, Nordwesten und Südwesten der Tschechoslowakei; und Nordost mit dem Nordosten und Südosten der Tschechoslowakei sowie den Sprachinseln Deutsch-Proben (Hauland) und Zips. Zwischen 1962 und 1969 war es dann möglich, mit Studierenden und ab 1964 auch mit den nacheinander beschäftigten Hilfskräften Ernst-Heinrich Hethey und Kaubisch insgesamt 88 mehrteilige Ergänzungskarten aus den Fragebögen auszuzeichnen.

3. Themenauswahl und Kartenanlage

Die Kartenthemen wurden so ausgewählt, dass schlüssige Kartenbilder in erster Linie für die Entsprechungen der mhd. Langvokale und Diphthonge, aber auch für einzelne Kurzvokale, Konsonanten, Flexive und wortgebundene Erscheinungen zu erwarten waren. Dabei entsprechen die Segmentierungen der Wörter ganz jenen der Wenker-Karten. In zwei Fällen dienten die Fragebögen des "Deutschen Wortatlasses" als Arbeitsgrundlage (Fliege, Wurm).

Da bis 1966 von Günter Bellmann und seinen Mitarbeitern der "Schlesische Sprachatlas" erarbeitet wurde, empfahl sich insofern eine Kooperation, als dazu insgesamt 10 einschlägige Beispiele nur für die Tschechoslowakei ausgezeichnet wurden und zwar in 5 Fällen die beiden Blätter Nordwest und Nordost: bin, könnt, Frei(tag), (ge)lauf(en), ge(kommen); in 3 Fällen nur Nordost: herum, größ(er), bau(en); und in 2 Fällen bloß Nordwest: (ge)blieben, gleich. Für die Schweiz ließ es die 1962 begonnene Publikation des "Sprachatlasses der deutschen Schweiz" wenig sinnvoll erscheinen, den mühevollen Zeichnungsprozess auf diese auszudehnen. So wurden bloß in 17 Fällen die West-Karten angefertigt: (ge)sagt, Felde, Of(en), solch(e), schlaf(en), nur, Schnee, groß, höh(er), Haus(e), Häus(er), (ver)kauf(en), ge(sagt), (Of)en, (gest)ern, (verkauf)en, (Häus)er. Schließlich konnte in 2 Fällen auf die Zeichnung des Südost-Blattes verzichtet werden: (Haus)e, (Tisch)e.

Die Karten sind als einfärbige Flächenkarten in schwarzer Zeichnung und Beschriftung auf grüngrauen bzw. (irrtümlich) blauen Grundkarten ausgeführt, indem nach den mehrheitlichen Schreibungen einzelne Gebiete gegeneinander abgegrenzt und mit der Leitform versehen und Abweichungen davon an den einzelnen Ortspunkten mit Strichsymbolen ausgewiesen werden. Die Strichsymbole, die gemeinsam mit Günter Bellmann entwickelt wurden, versuchen Beziehungen zwischen den Vokalwiedergaben auszudrücken, während unter- oder übergesetzte Zusatzzeichen meist konsonantische oder sonstige Erscheinungen wiedergeben.

Die Belegorte in Österrreich, Südtirol, Ungarn und der Tschechoslowakei sind in Verbindung mit den Belegorten des "Deutschen Wortatlasses" auf den entsprechenden Karten und in den zugehörigen Ortsregistern ausgewiesen in: Deutscher Wortatlas, Band 22, Gießen 1980. Die Belegorte der Schweiz und Liechtensteins scheinen nur auf der dort enthaltenen Karte auf, während die Belegorte der Sprachinseln Gottschee, Deutsch-Proben und Zips weder auf den Karten noch in den Ortsregistern berücksichtigt sind.

Die Qualität der Fragebögen und damit der Karten ist im allgemeinen gut. Teilweise aber haben sorglose Lehrer gegen den verlangten Ortsgebrauch ihren persönlichen Dialekt aus einer anderen Gegend als Grundlage der Übertragungen herangezogen. Das zeichnet sich dann auf den Karten meist in der Weise ab, dass gebietsfremde Einzelmeldungen aufscheinen, die den Leitformen in entfernteren Gegenden entsprechen. In solchen Ausnahmefällen empfiehlt sich daher der Rückgriff auf den Fragebogen und dort die Überprüfung der Fragen, woher der Lehrer stammt und ob er allein oder mit Einheimischen, insbesondere mit seinen Schülern den Fragebogen ausgefüllt hat.