Der folgende Text basiert auf dem Werk:

König, Werner/Schrambke, Renate (1999): Die Sprachatlanten des schwäbisch-alemannischen Raumes: Baden-Württemberg, Bayerisch-Schwaben, Elsaß, Liechten­stein, Schweiz, Vorarlberg. Bühl: Konkordia-Verlag (Themen der Landes­kunde; H8), 22–29.

Wir danken den Autoren für die freundliche Bereitstellung.

 

Der Deutsche Wortatlas (DWA)

Wie eben erwähnt, konnten schon beim DSA einige wortgeographische Karten gezeichnet werden. Die Fragebogenmethode lieferte bei lexikalischen Fragestellungen brauchbare Ergebnisse, denn ob man Wecken, Brötchen oder Semmel für jenes Kleingebäck aus Weißbrotteig sagt, kann man auch aus den Schreibungen von Laien entnehmen.

    Deshalb kam schon früh der Plan auf, den DSA durch einen entsprechenden Wortatlas zu ergänzen. Walther Mitzka, der Nachfolger Wredes am DSA in Marburg, nahm sich dieser Aufgabe an. 1938 veröffentlichte er sein Konzept für einen Wortatlas (Mitzka 1938). Er hatte eine Umfrage bei den deutschen Wörterbuchkanzleien gemacht und um Vorschläge für wortgeographisch interessante Begriffe gebeten. 700 Vorschläge kamen zurück, Mitzka verwendete aber nur 200 davon, denn mehr gingen nicht auf den Doppelbogen, in den die Antworten einzutragen waren. Bei einer größeren Anzahl an Fragen hätte es nach Mitzkas Meinung zu viele Ausfälle bei der Rücksendung gegeben. Mitzka plante einen reinen wortgeographischen Atlas, Fragen nach der Bedeutungsgeographie (d. h. Fragen nach der unterschiedlichen Bedeutung eines Ausdrucks in den verschiedenen Gegenden) ließ er weg, auch Bilder, um die gefragten Dinge eindeutig zu machen, alles das verbrauchte ihm zu viel des knappen Raums. Auch Abstrakta und Adjektive, die man durch Einbettung in einen Satz eindeutig hätte machen müssen, blieben aus demselben Grund weitestgehend ausge­klammert.

    Der Fragebogen wurde 1939 / 40 in alle Schulorte des damaligen deutschen Reiches gesandt, auch in die deutschsprachigen Orte der ehemaligen Tschecho­slowakei, nach Südtirol, nach Österreich, ins Elsaß und in die deutschsprachigen Gebiete Lothringens. Für die Schweiz war damals schon ein Sprachatlas in Be­arbeitung. Da dieser eine andere Konzeption besaß, schloß man sich diesem Projekt nicht an. Aus diesem Grund fehlt auf den inzwischen publizierten Kar­ten des DWA auch regelmäßig das Gebiet der Schweiz.

   Ungefähr 48 400 Fragebogen kamen ausgefüllt zurück (vgl. Abb. 7 auf S. 23). Mitzka machte sich sofort an die Kartierung: 1951 erschien schon der erste Band des Werks, der inzwischen letzte, der 22., im Jahr 1980. Auch wenn die Bände in sich starke Unterschiede in der Bearbeitungsintensität zeigen, so bleibt doch die Methode der Kartierung im Prinzip immer die gleiche: Zunächst wird je­de Karte als Symbolkarte gestaltet, d. h. jede Schreibung bekommt ein eigenes Symbol, verschiedene Schrei­bungen bei gleichem Worttyp leicht abgewandelte Symbole. Die Symbole werden jeweils am betreffenden Ortspunkt einer großmaßstäbigen Karte eingetragen. Solche Karten sind bei der gegebenen Beleg­menge sehr unübersichtlich. Deshalb wird der Symboltyp, der in einer Region in der Überzahl ist, getilgt, und die Fläche, in der diese Form herrscht, durch eine Linie (eine sog. Isoglosse) begrenzt.

 

Abb. 7:  DWA — Deutscher Wortatlas, Ausschnitte aus den Fragebogen von Graben (bei Augsburg), Bavendorf (bei Ravensburg) und Villingen.

 

 

Abb. 8:  DWA — Deutscher Wortatlas, Ausschnitte aus dem Fragebogen, verklei­nerte Wiedergabe (aus: Wiegand (1971), S. 170 f).

 

Eine von den getilgten Symbolen abgeleitete, abstrahierte „Leitform“ wird groß in diese Fläche geschrieben, zum Zeichen, daß in diesem Gebiet das angegebene Wort vorherrscht. Wo Abweichungen vorhanden sind, werden diese durch Einzelsymbole oder Zahlen bei den jeweiligen Orten eingefügt.

   Während in den Anfangsbänden 1 – 5 sehr großzügig, d. h. mit starker Typisierung und starker Vorinterpretation, mit den Belegen umgegangen wurde, um relativ einheitliche Gebiete zu erhalten, bemühten sich der Herausgeber Ludwig Erich Schmitt und die Kartenbearbeiter ab Band 6 um möglichst buchstabengetreue Darstellung des vorhandenen Materials. Auch hier bleibt noch viel Spielraum bei der Gestaltung: Ob man bei einer relativ selten auftauchenden Sonderform ein eigenes zerklüftetes Gebiet etabliert oder es bei den Symbolen beläßt, entscheidet darüber, ob so eine Form auch einem weniger gründlichen Betrachter auffällt, oder ob sie optisch untergeht. Oder ob man ein Mischgebiet mit einer komplizierten Mäanderlinie trennt oder durch einen geraden Strich (mit Sonderzeichen rechts und links davon) auseinanderhält. Der DWA gestaltete (wenigstens in den späteren Bänden) oft Mäander­linien, um zu zeigen, daß hier ein Sprachwandel im Gange ist, um diesen dynamischen Prozeß zwischen zwei Sprachformen zum Ausdruck zu bringen. Zu jeder Karte gehört ein Wortregister sowie eine Liste der Seltenheiten (die kein eigenes Symbol bekommen haben) und der Mehrfachmeldungen (das sind die Belege, die als Zweit- und Drittformen an einem Ort auftauchen).

   Zum Deutschen Wortatlas gibt es eine Reihe von Monographien, die jeweils eine Karte interpretieren. Bis 1971 sind sie verzeichnet in der Bibliographie von Erhard Barth 1972. Eine Auswahl von ca. 50 Karten mit kurzem Kommentar findet sich in stark vereinfachter Form in König 1994.

   Dem DWA schreibt man weniger Wirkung zu als dem DSA. Sein Hauptverdienst liegt darin, uns über wortgeographische Strukturen im deutschsprachigen Mitteleuropa zu unterrichten. Wir erkennen Fälle, in denen sich wenige Synonyme großräumig verteilen (z.B. Junge / Bub, Bd. 4) und Fälle, in denen es mehrere tausend verschiedene regionale Bezeichnungen gibt (z.B. ‘Ameise’, Bd. 5). Mit seiner Hilfe konnte man den Umbau ganzer Bezeichnungsfelder seit dem Althochdeutschen beschreiben (z.B. für ‘Getreide’ Höing 1958), man konnte die Deformation von isolierten (nicht einer Wortfamilie zugehörigen) Wörtern verfolgen (z.B. Neubauer 1958 für ‘wiederkäuen’). Auch relativ junge Dinge zeigen schon eine reiche landschaftliche Variation (z. B. ‘Zündholz’ Bd. 3 und ‘Kartoffel’, Bd. 11). Viel von der Geschichte des Hausbaus spiegelt sich in den Bezeichnungen für den Schorn­stein / Kamin (Schilling 1963). Bis in germanische Zeit zurück findet man bei der Interpretation der Wörter für das Ackergras Quecke (Nordstrandh 1954, Reiffen­stein 1963), auch die Siedlungsgeschichte spiegelt sich in der geographischen Verteilung ihrer Heteronyme. Eine Vielzahl von Karten zeigt die Einflüsse fremder Sprachen: Im Osten durch das Auftreten von Entlehnungen aus den slawischen Sprachen, im Westen und Süden aus dem Romanischen.

Anmerkung:

Wortkarten, die den deutschen Südwesten mitumfassen, enthält auch der Atlas der Deutschen Volkskunde. Sein Material wurde durch Fragebogen in den Jahren 1925 bis 1935 erhoben. 1937 bis 1940 erschienen die ersten Lieferungen. Nach dem Krieg wurden von 1958 bis 1979 weitere Karten publiziert, bisher insgesamt 265, vor allem aus dem Gebiet des ländlichen Brauchtums und aus der Landwirtschaft. Wichtig für das Alemannische ist z. B. die Bedeutungskarte ‘Korn’ (Karte 14). Dieses Wort konnte regional verteilt sowohl „Roggen“ als auch „Dinkel“, selten „Weizen“ und „Gerste“, aber auch „Getreide“ insgesamt bedeuten.

 

Abb. 9:  DWA — Deutscher Wortatlas, Bd. 6, Ausschnitt aus der Karte ‘Schwieger­tochter’. Die Originalgröße der Gesamtkarte beträgt ca. 60 x 55 cm; der wiedergegebene Ausschnitt ist auf etwa 130 % vergrößert.

 

Abb. 10:  Legende zur Karte ‘Schwiegertochter’ des DWA (Bd. 6).