Der folgende Text basiert auf dem Werk:

König, Werner / Schrambke, Renate (1999): Die Sprachatlanten des schwäbisch-alemannischen Raumes: Baden-Württemberg, Bayerisch-Schwaben, Elsaß, Liechtenstein, Schweiz, Vorarlberg. Bühl: Konkordia-Verlag (Themen der Landeskunde 8).

Wir danken den Autoren für die freundliche Bereitstellung.

 

Der Atlas zur Aussprache des Schriftdeutschen in der Bundesrepublik Deutschland

Jedem Deutschen ist es eine alltägliche Erfahrung, dass man selbst bei gebildeten Sprechern hört, aus welchem Raum sie stammen, auch wenn sie sich um eine möglichst akzentfreie Aussprache bemühen. Der Atlas zur Aussprache des Schriftdeutschen in der Bundesrepublik Deutschland von Werner König, der 1989 erschienen ist, versucht, diese regionalen Unterschiede im Bereich der Laute zu beschreiben.

Das Untersuchungsgebiet ist die Bundesrepublik Deutschland ohne ehemalige DDR. Von den 44 Ortspunkten sind neun im alemannischen Südwesten angesiedelt. Die Sprecher sollten einer bildungsmäßig möglichst hochstehenden Gruppe angehören. Das sollte gewährleisten, dass eine möglichst dialektfreie Aussprache erfasst wird. So fiel die Auswahl auf Studenten der Geburtsjahre 1946–1958, die in dem Ort, den sie repräsentieren, aufgewachsen und zur Schule gegangen sind. Bei den meisten Sprechern sind beide Elternteile aus dem entsprechenden Ort, bei den anderen nur eines. Außerdem hat mindestens ein Elternteil Abitur.

Um eine möglichst hohe Sprachform zu erzielen, wurden die Informanten über Sinn und Zwecks des Unternehmens aufgeklärt. Sie wurden gebeten, eine Wortliste von ca. 1500 Wörtern sowie eine Liste von Minimalpaaren vorzulesen. Die Gewährsperson hatte beim Vorlesen vor jedes Substantiv den entsprechenden Artikel zu setzen; damit sollte erreicht werden, dass die Wörter auch verstanden wurden und dass die Sprecher von der Artikulation der Einzelwörter abgelenkt waren. Dieser Vorgang ergab in der Regel eine Tonbandaufnahme von ca. 45 Minuten. Am Anfang der Vorleseseiten bemühten sich die Sprecher meist um eine explizite, buchstabengetreue Lautung mit voll ausgesprochenen Endsilben, was aber nach einigen Seiten schnell aufgehoben wurde zugunsten einer schnelleren, normaleren, nicht auffälligen Lautung. Von daher sind die Ergebnisse nicht nur für die Vorleseaussprache repräsentativ, sondern auch für die Alltagssprache der Probanden, d.h. der Vertreter einer hohen Bildungsschicht. Damit bei der relativ geringen Anzahl an Sprechern ein von der regionalen Norm abweichender "Zufallsausreißer" nicht das Ergebnis verfälscht, wurden nur solche Phänomene in die Auswertung mit einbezogen, die in mindestens zwei nebeneinanderliegenden Orten vorkamen. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass zwei Sprecher derselben Region die gleiche untypische Abweichung vom allgemeinen Sprachverhalten zeigen.

Die Ergebnisse sind in 136 Karten und mehr als 100 Tabellen dargestellt. Die Karten sind in der Regel quantitativ gestaltet, d.h. an jedem Ort wird durch Strichsymbole aufgezeigt, wie häufig (in Prozentwerten) ein bestimmtes Phänomen vorkommt. Auf unserer Beispielkarte (vgl. Abb. 56 auf S. 137) wird dargestellt, ob bei der Aussprache des unbetonten -er in Wörtern wie "Fenst-er" und "Dau-er" noch ein r–Laut gesprochen wird. Auch im alemannischen Südwesten, der sich bei dieser Erscheinung von der restlichen Alt-BRD abhebt, ist das r zwar weitgehend geschwunden, doch der Auslautvokal zeigt in der Regel noch deutliche r-Färbung, die auf der Karte "Rhotazierung" genannt wird. 72 Beispiele sind pro Ort in die Karte eingegangen, jeder Strich zeigt zehn (bei halber Höhe fünf) Prozent solcher Formen an.

Die Karten dieses Atlasses zeigen, dass auch bei dieser höchsten dem gebildeten Sprecher zur Verfügung stehenden Sprachform sich der alemannische Raum zuweilen einheitlich verhält, sie zeigen vor allem, dass es keine Region in der Bundesrepublik gibt, in der ein Hochdeutsch gesprochen wird, das der Norm – welche man auch immer zugrundelegt – entspricht. Der Atlas kann darüber informieren, wie gebildete Sprecher, wenn sie sich um eine gute Aussprache bemühen, tatsächlich sprechen.

 

Abb. 56: Atlas zur Aussprache des Schriftdeutschen, Bd. 2, S. 322, Karte "-er im unbetonten Auslaut".

Die Originalgröße der Karte beträgt ca. 14 x 21 cm, die Wiedergabe ist hier auf etwa 50 % verkleinert.

 

Abb. 57: Mittelalterliche Bistumsgrenzen im alemannischen Sprachgebiet nach Ohler 1989, S. 23.