von

Karl Spangenberg

Die Publikation des Thüringischen Dialektatlasses erfolgte 1961 als Veröffentlichung 17 und 1965 als Veröffentlichung 27 des Instituts für deutsche Sprache und Literatur an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Begründet und verantwortlich bearbeitet wurden die beiden Lieferungen von H. Hucke als Direktor des Instituts für Mundartforschung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, zum großen Teil auch von den damaligen 3 Assistenten des Instituts, unter diesen der spätere Nachfolger in der Leitung des Instituts und als letzter Überlebender der Berichterstatter K. Spangenberg. Lieferung 1 und 2 umfassen je 20 Einzelkarten und jeweils einen zugehörigen Textband von zusammen 204 Seiten. Lieferung 1 enthält eine ausführliche Einführung, den Abschluss bilden ein Namen- und Sachregister. Die Karten fußen in der Mehrzahl auf Fragebogenerhebungen der 30er und 50er Jahre, zuweilen auf früheren und volkskundlichen Befragungen. Gebietsweise ergänzen auch Direktaufnahmen geschulter Dialektologen die Erhebungen. Insgesamt ist dieses zeitliche und methodische Konglomerat aus der Not geboren, da noch am 9. Februar 1945 ein Bombardement die Bestände der Mundartkanzlei dezimierte und lediglich Reste aus der Vorkriegszeit zu verwerten waren.

Als Atlasteil zum Thüringischen Wörterbuch (ThWb) mit 20 Einzelkarten pro Lieferung sollte der ThDA nicht nur „ein Forschungsinstrument für den Sprachwissenschaftler“, sondern zugleich „ein Arbeitsmittel für den Lehrer des Deutschen und der heimatkundlichen Fächer“ sein. Diese weite Zielstellung bot wenig Raum für linguistische Erörterungen und stellt im Grunde eine Materialerweiterung zum Deutschen Sprach- und Wortatlas auf kleinterritorialer thüringischer Grundlage dar. Mit dem Maßstab der handschriftlichen Atlaskarten 1: 1.000.000, der auch dessen Pausen verwertbar macht, sowie der Übernahme und Eintragung sämtlicher Ortspunkte des veröffentlichten Deutschen Sprachatlasses im ThDA wird die Anlehnung auch äußerlich dokumentiert und ermöglicht häufig sogar einen punktuellen Vergleich. Ohne erkennbare Regeln wechseln allerdings Wort- und Lautschatzkarten (z.B. Kt. 14 „Spaten“, Kt. 4 „Egge“, Kt. 8 „nicht“) wahllos mit grammatischen Sachverhalten (z.B. Infinitiv von „stopfen“), stehen bäuerlich oder häuslich markierte Domänen neben rein sprachlichen Gegebenheiten, so dass als oberstes Prinzip die Veranschaulichung herrscht. Dem dient auch die Vermeidung der Lautschrift zu Gunsten einer literatursprachenahen Wiedergabe bei flächenhafter Kennzeichnung und nicht zuletzt der Mehrfarbendruck von Einzelzeichen und Beschriftung. Lediglich auf wenigen Karten bilden Dehnungsstriche über Vokalen und a-Varianten graphische Ausnahmen. Alle von der beschriebenen Sprachfläche abweichenden Einzelzeichen finden sich in Informantenschreibweise auf der Legende der Atlaskarte oder im angehefteten Beiblatt.

Als Beiwerk besitzt der ThDA natürlich die gleiche Begrenzung wie das Thüringische Wörterbuch. Eine sprachliche Motivierung ist lediglich im Norden durch die ik/ich-Linie gegeben, eine geographische als Abgrenzung zum Obersächsischen durch den Unterlauf der Saale bis nahe Weißenfels, während ansonsten die territorialen Gegebenheiten der Entstehungszeit des ThWb’s zugrunde liegen, also auch den ehemals wettinischen Kreis Koburg und die Exklave Ostheim umfassen. Der Lauf der Umgrenzungslinie ist auf jeder Karte durch Blassdruck erkennbar. Nach jetziger Gliederung ist das Land Thüringen vollständig, Sachsen-Anhalt hingegen lediglich mit dem südwestlichen Teil bis zur ik/ich- Linie betroffen. Der sprachlichen Grundkarte ist ein Gradnetz übergestülpt, das die Längengrade durch Buchstaben, die Breitengrade durch Zahlen bezeichnet, so dass jedes Einzelzeichen oder jede Sprachfläche durch eine zweistellige Angabe lokalisiert werden kann (z.B. 15 E Eisenach). Hierbei unterscheidet sich der ThDA vom ThWb, wo die Ortslage durch Kreisangaben markiert wird.

Die Herstellung der Karten erfolgte in Arbeitsschritten mit jeweils akribischer Kontrolle durch einen zweiten Mitarbeiter und der endgültigen Gestaltung durch den Projektleiter. Unter Berücksichtigung von Ähnlichkeit und Zusammenhängen wurden zunächst die Einzelzeichen für potenzielle Schreibweisen der Informanten entworfen und auf transparentes Pergamentpapier eingetragen, das reellen topographischen Teilblättern Thüringens aufgelegt werden konnte. Auf diesen Teilblättern mit dem Maßstab 1: 200.000 war ausreichend Platz, um eventuelle Mehrfachbelege für eine Ortschaft einzutragen oder bei dichter Ortslage die Zugehörigkeit von Ort und Zeichen zu gewährleisten. Auf der transparenten Folie wurde auch die Zusammenfassung von gleichen oder ähnlichen Einzelzeichen zur flächenhaften Darstellung eines Wortes oder eines Lautes vorgenommen und mit Linien begrenzt. Zugleich erfolgte in gewissenhafter Überlegung die Ausmerzung von Fehlbelegen. Den Verlauf der linearen Umgrenzung von Laut- oder Wortflächen bestimmten strenge statistische Regeln, wonach lediglich eine Mehrzahl von Merkmalen eines Quadrates eine lineare Begrenzung erlaubte und auch angrenzende Quadrate einbezogen werden durften. Herrschte hingegen außerhalb ein anderes Merkmal, waren Einzelstriche zu verwenden oder Sprachinseln zu bilden. Unsichere Grenzen wurden gestrichelt.

Zum Arbeitsgebiet des ThDA’s gehören etwas 2.500 Gemeinden, wovon ca. 2.000 zumindest mit einem Beleg vertreten sind. Die Zahl der Ortschaften und Belege schwankt je nach Aufnahmezeit und sprachlicher Gebräuchlichkeit. Karte 9 „Niete (im Kartenspiel)“ enthält z.B. 3.363 Belege, wobei einige Orte je nach Anzahl der Ortsteile, Schulen oder Befragungen vielfach belegt sind. Karte „stopfen (Inf.-Endung)“ weist hingegen nur 1.878 Belege auf. Ein Vergleich mit der Inf.-Endung von „machen“ (Wenkersatz 17) ergibt hierbei eine weitgehende Übereinstimmung. Stärker sind die Abweichungen auf anderen Karten. Insbesondere die Nachkriegserhebungen tendieren zum standardnahen Sprachgebrauch. Ein Erhebungsdefizit trägt somit zu Erkenntnissen sprachlicher Entwicklungen bei. Als Vermittler der Antworten betätigte sich insbesondere die Lehrerschaft; als Auskunftgeber waren die ältesten ortsgebürtigen Mundartsprecher zu gewinnen.

Zur Veranschaulichung diene die Karte 26 „Friedhof“, die als Zweifarbendruck aus 2.052 Orten vorliegt und drucktechnisch zu den einfachen Karten des ThDA’s gehört. Die Hauptformen sind „Gottesacker“ und „Kirchhof“, wobei das letztere Wort nicht nur älter ist und relikthaft vorkommt, sondern auch die ehemalige räumliche Nähe zur Kirche bezeugt. Hinzuweisen ist auf abweichende Einzelbelege sowie Umstellungen in der Zweitsilbe bei „Kirchhof“. Die nicht erklärte Schreibung „kirwet, kerfet“ in der Rhön ist wohl eine Analogiebildung der Endung -ig, -ich(t) zu -et wie in drecket „dreckig“.

Phonetische Exaktheit wurde auf der Karte „Friedhof“ nicht angestrebt und war durch indirekte Fragebogenerhebungen auch nicht zu gewinnen. Gewachsenes Wissen über thüringische Mundarten und folgende Direkterhebungen haben Anfang der 60er Jahre zur Einstellung der Arbeit am ThDA geführt, zumal seitdem mit weniger Aufwand die Karten in das ThWb integriert werden konnten oder in Monographien Aufnahme fanden.

 

Jena, Ende April 2009